Frage zum Thema „Zukunft“

Was kann man tun, um die Polarisierung der Gefühle in Zukunft zu verhindern?

Frau Silke H. schreibt: „Lieber Herr Ittner, ich bin ja nun seit 5 Wochen wieder mit meinem Freund Bernd zusammen. Ich habe aber etwas Angst, was unsere gemeinsame Zukunft anbelangt. Ich befürchte wir könnten in einigen Monaten wieder im alten Fahrwasser sein. Ich bräuchte da noch dringend ein paar Tipps von Ihnen.“

Die Befürchtung Silkes ist wirklich sehr, sehr Ernst zu nehmen und oft schon hat ein hoffnungsvoller Neustart nach einem halben Jahr genau wieder in derselben Misere geendet wie schon einmal…
Silke war über einen langen Zeitraum in ihrer Beziehung der subdominante Part gewesen, also der, der mehr liebt und mehr gibt. Ihr Freund Bernd war der dominante Teil; der Nüchterne, der weniger Gefühle hat und zeigt und der sich unengagierter verhält. Mit der Zeit verschob sich die Beziehungsmacht immer mehr in Bernds Richtung und dies führte zur Polarisierung der Gefühle: Silke liebte immer verzweifelter, während ihr Freund ins emotionale Abseits triftete…
Silke hatte so Vieles in ihrer Beziehung nicht mehr gepasst; sie hatte Vieles vermisst und wurde immer unglücklicher; irgendwann ist Alles nur noch schwer und kompliziert gewesen… und dann war da noch diese Andere… Trotzdem hatte sie ihren Bernd immer geliebt, sehr sogar, und nach 3 Monaten ist es ja auch zu einem erfolgreichen Neustart gekommen. Aber das Aus von damals steckt ihr noch immer schwer in den Knochen.

Ich kenne ihre Geschichte, weil sie sich in der Endphase von mir hat coachen lassen. Ihr Freund trennte sich und hatte für ein paar Wochen eine Andere, ist dann aber wieder umgeschwenkt, weil die anscheinend doch nicht die Richtige war. Und Silke hatte sich während ihrer Trennung bzw. hinterher optimal verhalten. Sie hatte mit meiner Unterstützung schwer an sich „gearbeitet“ und es deshalb geschafft, sich ihrem Ex gegenüber neutral und „cool“ zu präsentieren. Das hatte sie wieder ins Rennen gebracht – denn das war neu für Bernd; so kannte er sie nicht; das war das totale Kontrastprogramm zu früher, wo es viele unschöne Szenen gab mit Tränen und Wutausbrüchen – das übliche Programm halt 😉 …

Beziehungsarbeit verhindert Polarisierung

Jetzt sind die Zwei wieder zusammen und Silke plagen Zweifel, ob es wohl diesmal klappt. Natürlich sind ihre Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen, aber es wäre viel, viel besser, wenn es sie nicht gäbe, denn sie beschweren nun eklatant den Neustart der Beiden. Ängste dieser Art wirken oft wie eine selbsterfüllende Prophezeiung: Sie lassen genau das Wirklichkeit werden, was man unbedingt verhindern will…
Um diese verhängnisvollen Mechanismen außer Kraft zusetzen, müssten die Beiden jetzt an sich „arbeiten“; sie müssten „Arbeit“ um ihrer Beziehung willen leisten, um dem Damoklesschwert der Polarisierung ihrer Gefühle zu entgehen, das ständig über ihren Köpfen schwebt.

Er muss andere Schrauben drehen als sie

Sein Anteil: Silkes Freund müsste klar sein, dass sie ihm zwar seinen Seitensprung verziehen hat, aber dass dennoch ein wunder Punkt in ihrer Seele zurück geblieben ist, ein Punkt, der leicht zum Kristallisationskern einer erneuten Polarisierung werden könnte. Bernd müsste jetzt in geduldiger Manier auf all ihre kleinen ängstlichen Besorgtheiten reagieren, und ihr die Zweifel nehmen – immer wieder. Er sollte Silke jetzt sehr viel Aufmerksamkeit schenken und Liebe.
Das müsste sein Beitrag zur Aufarbeitung ihrer Beziehungsproblematik sein. Dieses Engagement sollte Silke Sicherheit geben, Sicherheit, dass seine Gefühle stark genug sind, um nicht abermals auf Abwege zu geraten. Um diesen Effekt besonders wirkungsvoll zu gestalten, könnte Bernd auch manchmal etwas übertreiben dabei 😉 …

Sollen Gefühlsäußerungen neben dem reinen Ausdruck auch noch einen „Zweck“ erfüllen, könnten sie strategische Elemente enthalten, die die Gefühlsbotschaft verstärken. Auch wenn Silke verspüren würde, dass er um der Wirkung willen manchmal etwas zu Dick auftrüge, wäre das für sie kein Schaden; ganz im Gegenteil: Sie würde sein Engagement dankend und wohlwollend entgegen nehmen, weil es Balsam für ihre Wunden wäre…
Die Unsicherheit, die Silke seit dem Neustart verfolgt, und die sie nur schwer in Schach halten kann, ist jetzt das größte Risiko für ihre zerbrechliche Verbindung. Ganz, ganz schnell kann es nämlich geschehen, dass diese Unsicherheit sie wieder anklammernd und kontrollierend reagieren lässt.
Dieses „Gift“ sickert für gewöhnlich langsam und schleichend in die Beziehungen; einer bekommt dadurch die Oberhand und Sicherheit und Kontrolle, die immer damit verbunden sind, lassen seine Gefühle schrumpfen, wie Schnee in der Frühlingssonne. Wenn Bernd jetzt nicht Rücksicht auf ihr angeknackstes Ego nimmt und sie deshalb wieder anfinge verzweifelt zu werden – und dadurch Alles in Gefahr geriete – trüge er erheblich Anteil an dem Ganzen, weil er sie durch sein Verhalten so unglücklich reagieren ließe.

Ihr Anteil: Die Beziehungsarbeit unserer Silke müsste darauf abzielen, schädliche Anklammerungstendenzen bei sich zu erkennen und unter Kontrolle zu bringen. Sie müsste es unbedingt schaffen sich etwas zurückzunehmen. Ich weiß natürlich sehr gut, dass das alles andere als einfach ist! Aber sehr verehrte Leserinnen und Leser, wenn Sie in einer ähnlichen Situation sind wie die Silke, müssen Sie alles daran setzen, diese schwierige Aufgabe so gut als möglich zu bewerkstelligen. Sie müssten es z. B. unbedingt unterlassen, Ihrer Herzdame oder Ihrem Herzallerliebsten hinterher zu telefonieren, wenn Sie einmal für ein paar Stunden nicht wissen, was ihr Partner so macht oder treibt. Wenn Sie dann ausflippen und durchdrehen, weil die Angst Ihnen die Luft abdrückt und Sie es ihrem Partner auch noch sagen – in einem verzweifelten oder ärgerlichen Tonfall – hat der Abwärtssog der Polarisierung Ihre Beziehung wieder voll im Griff…Die destruktiven Verhaltensmuster wären alle wieder da. Ihr Partner würde wieder anfangen seine Gefühle für Sie zu verlieren; er könnte das gar nicht verhindern; und sie trügen eine gehörige Portion Mitschuld an dem Ganzen, weil Sie diesmal ja wüssten was passiert, wenn Sie so sind…

Therapie stärkt Ichkräfte

Aber ich weiß, manchmal ist die Angst, dass es erneut schief geht, einfach so riesengroß, dass man gar nicht anders reagieren kann. Wenn diese schädlichen Verhaltensmuster in Ihrer Persönlichkeit übernormal repräsentiert sind, sollten Sie sich einen guten Psychotherapeuten in Ihrer Nähe suchen, um dieser „Schwäche“ mit professioneller Hilfe Herr zu werden. Irgendetwas hat während ihrer Kindheit bzw. Adoleszenz verhindert, dass sich bei Ihnen ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln konnte. Dieses Entwicklungsdefizit kann später weiter existieren, auch wenn Sie als erwachsene Person in anderen Lebensbereichen erfolgreich sind. So eine Art Nachreifung der Persönlichkeit durch eine Therapie habe ich auch der Silke angeraten, weil eine Stärkung der Ichkräfte das beste Rezept ist, das ich kenne, um schädliche Anklammerungsreflexe bei Beziehungsschwierigkeiten abzumildern.

Rachsucht liegt Mensch im Blut

Fühlt sich einer in seiner Beziehung vom Anderen schlecht behandelt – egal wegen was –, ist er in der Regel verletzt und wird wütend. Dieses Wütendwerden hat Verhaltensweisen zur Folge, die den Anderen ebenso verletzen sollen, denn in jedem von uns existiert – tief in der Seele eingebettet – ein instinktiver „Vergeltungsmechanismus“, der auf Verletzungen mit einem Gegenangriff reagieren möchte. Diese Veranlagung des Menschen ist viele Millionen Jahre alt. Ihr fiel in steinzeitlichen Gesellschaften die Aufgabe der Abschreckung zu. Feindlich bzw. nicht freundlich gesinnte Individuen mussten nach einer antisozialen Handlung in irgendeiner Form mit Vergeltung rechnen. Rache und Bestrafung waren wichtige Regularien der sozialen Ordnung und gaben dem Einzelnen einen gewissen Schutz vor der Willkür der Anderen. Darum hat die Evolution schon vor vielen Jahrmillionen solche Verhaltensweisen in unsere Gene eingestanzt. In urtümlichen Stammesgesellschaften wurden Rachegelüste und Vergeltung oft durch die Anwendung körperlicher Gewalt befriedigt: Auge um Auge, Zahn um Zahn…, so könnte man diese archaische Selbstjustiz beschreiben – sie existierte lange bevor der Mensch begann, sich Gesetze und Regeln auszudenken.

Urzeit-Mechanismus torpediert Beziehung

Diese tief im Unterbewusstsein verankerten Verhaltensautomatismen machen uns heutzutage unser Beziehungsleben so schwer, obgleich der Streit mit Worten, den Streit mit Taten zum Teil ersetzt hat. Auch wenn in der Mehrzahl der Fälle keine körperlich Verletzten auf der Strecke bleiben, bleiben seelische Verwundungen zurück. Außerdem beschädigen diese Rede-Schlachten die Partnerschaft, weil sich in den Köpfen der Beteiligten der Gedanke festsetzt, dass mit ihrer Beziehung irgendetwas nicht stimmt. Meist ergeben sich endlose Auseinandersetzungen, die sich aufschaukelnd im Kreise drehen und zur Polarisierung der Gefühle führen. Der „Sieger“ nimmt die dominante Stellung ein, aber bei passender Gelegenheit versucht der „Verlierer“ ihm die Vormachtstellung wieder zu entreißen. Ich bin überzeugt sehr verehrte Leserinnen und Leser, Sie wissen was ich meine 😉 …Wir alle kennen diese destruktive Art des Miteinander-Umgehens; sie ist – letztendlich – Folge einer geschlechtertypischen Rivalität und einer falschen Kommunikationstechnik.

Richtige Kommunikation hilfreich

Um die „biologisch“ bedingten Spannungen zwischen den Geschlechtern abzumildern oder um schwierige Beziehungsgespräche zu führen, die sehr schnell in hässliche Auseinandersetzungen übergehen können, ist eine Kommunikationsstrategie zu favorisieren, die eine deeskalierende Wirkung entfalten kann. Diese Gesprächsstrategien sind in der Lage, tief verwurzelte Aggressionspotentiale im menschlichen Unterbewusstsein unter Hemmung zu setzen. Diese Kommunikationstechniken versuchen weitestgehend ohne Vorwürfe und Anschuldigungen auszukommen, um in angespannten zwischenmenschlichen Situationen nicht noch zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen…Wenn man sich diese Techniken aneignet, ist es oft in schwierigen Situationen noch möglich konstruktive Gespräche zu führen.

Du-Botschaften und Ich-Botschaften

Macht man seinem Partner gegenüber Vorwürfe bzw. bringt man Anschuldigungen vor, verwendet man immer Du-Botschaften: „Wir hatten doch ausgemacht, dass Du anrufst, wenn bei dir etwas dazwischen kommt. Ich habe gewartet, aber nichts von dir gehört. Du hältst es anscheinend nicht einmal für nötig, mich mit einem kurzen Anruf zu informieren, wenn Du keine Zeit hast.“ Jeder, der so eine sinnlose Warterei erlebt, ist sauer und enttäuscht. Die vorgebrachte Anklage soll deshalb beim Anderen ebenso schlechte Gefühle hervorrufen; als ausgleichende Gerechtigkeit sozusagen. Aber die andere Seite wird sich diesen Schuh nicht so ohne weiteres anziehen; sie wird sich verteidigen, dagegen halten und zurück schießen. Ein Wort gibt dann das andere und im Handumdrehen kann ein fetzen Streit im Gange sein.
Mit ihrer anklagenden Du-Botschaft stellt hier die Person A die Person B als gewissenlos und unzuverlässlich hin. Obwohl diese Feststellung im Kern vielleicht sogar zutreffend sein mag, verunmöglicht die Du-Botschaft jede konstruktive Auseinandersetzung mit dieser Problematik, weil der aufflackernde Streit die „Kombattanten“ davon abhält, bis an die Wurzel des Übels vorzudringen.

Formuliert man seine Statements dagegen in einer Ich-Botschaft, interpretiert die andere Seite diese Aussage nicht so leicht als „Kampfansage“: „Wir hatten neulich ausgemacht, dass Du anrufst, wenn bei dir etwas dazwischen kommt. Wahrscheinlich hast du unsere Vereinbarung vergessen. Für mich war das aber blöd, weil ich mir den Abend extra freigehalten habe. Ich war dann sauer und enttäuscht – im Grunde bin ich jetzt noch immer verstimmt.“

Ich-Botschaften wirken defensiv, aber bringen dennoch eine schwach getönte Aggressivität zwischen den Zeilen zum Ausdruck, weil auch die Kernaussage der obigen Ich-Botschaft lautet: Du hast Anteil an einer misslichen Seelenlage meinerseits. Aber die Ich-Botschaft ist stark relativierend, was den aggressiven Anteil der Information anbelangt: Man könnte die missliche Seelenlage der Person A auch mit einer überaus leicht kränkbaren Persönlichkeit in Verbindung bringen, an der der „vergessliche“ Partner B nun wirklich keine Schuld trägt.
Der psychologische „Preis“ von Nachrichten, die auf der Basis einer Ich-Botschaft gesendet werden, ist der stark enthüllende Charakter dieser Botschaften für den Sender selber. Um bei einer anderen Person nicht ein heftiges Verteidigungsverhalten zu provozieren, wird im gewissen Maß eine eigene Verletzlichkeit eingeräumt. Das ist gut und schlecht zugleich. So ein „Outing“ kann zwar einen drohenden Streit die Spitze nehmen, aber andererseits auch „Schwächen“ und „Bedürftigkeiten“ offenbaren – und damit möglicherweise eine aus dem Gleichgewicht geratene Beziehung weiter polarisieren. Aber im Grunde hat man zur deeskalierenden Ich-Botschaft keine andere Wahl, will man heikle und diffizile Beziehungsproblematiken erfolgreich zur Sprache zu bringen.

Ich-Botschaft dämpft Aggression

Sehr positiv bei der Formulierung dieser Ich-Botschaften ist die emotionale Distanzierung, die dabei stattfindet, und die immer zur Abschwächung der eigenen aggressiven Impulse führt. Ich-Botschaften lassen ihre Verfasser bei der Formulierung quasi aus sich „heraustreten“ und abgehoben und distanziert über sich berichten. Dem aufgewühlten Inneren, das sich sofort aggressiv Luft machen möchte, wird durch die Formulierung einer Ich-Botschaft gehörig der Wind aus den Segeln genommen – weil eine Umschaltung von einer mentalen Ebene auf die andere erfolgt.
Sich solche Kommunikationstechniken anzugewöhnen ist nicht gerade leicht. Vielleicht nicht so sehr was das Aneignen der ungewohnten Formulierungen angeht, sondern das Beibehalten dieser Strategien, wenn es wirklich einmal hart auf hart geht und aufgewühlte Emotionen jede vernünftige Auseinandersetzung zu verunmöglichen drohen. Hier hilft nur üben, üben, üben!

Liebe Leserinnen, liebe Leser, der Absatz „Richtige Kommunikation hilfreich“ ist natürlich nur als allererster Einstieg in diese interessante Thematik gedacht. Ich hoffe aber, dass es mir gelungen ist, Ihr Interesse zu wecken. Wenn Sie Ihrer Beziehung nachhaltig einen anderen Anstrich geben wollen, kommen Sie wahrscheinlich nicht umhin, sich verstärkter mit dieser Materie zu befassen. Literatur zum Thema „Kommunikation“ gibt es genug. Auch wenn Ihr Partner nicht mitzieht, weil er keinen Sinn dahinter erkennt, kann es von immenser Wichtigkeit für Ihre Beziehung sein, wenn Sie sich solcher Sprachstrategien bedienen.